Rheinische Post - Mönchengladbacher Stadtpost - Mittwoch, 24. Februar 2021

Ein Haus im langen Winterschlaf

Die Jugendherberge im Hardter Wald ist bei vielen Stammgästen sehr beliebt. Derzeit ist das Haus wegen der Corona-Pandemie jedoch nicht geöffnet. Für das Herbergsleiter-Paar gibt es trotzdem genug zu tun.


von Thomas Grulke

(RP). HARDTER Wald. Und dann wird es plötzlich doch einmal richtig laut am hinteren Ende der großen, verwaisten Eingangshalle. Die Holzwand am Ausgabefenster der Küche fährt elektrisch hoch, doch das damit einhergehende Quietschen verdeutlicht, dass der Antrieb schon länger nicht mehr zum Einsatz gekommen ist. "Da müssen wir noch mal ran", sagt Martin Rottmann. Gemeinsam mit seiner Frau Christiane leitet er seit 34 Jahren die Jugendherberge im Hardter Wald. So einsam wie in den vergangenen elf Monaten war es für sie in dem großen Haus in all der Zeit aber nie.

"Jetzt ist es hier so leise, dass wir bei jedem Geräusch sofort hellhörig werden. Und auch das Knarzen des Holzbodens kommt uns viel lauter vor als sonst", sagt Rottmann, als er die Treppen in den ersten Stock zu den Mehrbettzimmern hinaufsteigt. Vom Aufgang aus schweift der Blick von rechts nach links, den langen, dunklen Korridor entlang. Die Türen zu den Zimmern sind geschlossen. Es gibt in ihnen derzeit auch nicht viel zu sehen - außer den kahlen Stockbetten. So ist es auch ein Stockwerk höher, wo es auch noch zwei große Lager gibt. Es wirkt, als halte das Gebäude im Hardter Wald gerade Winterschlaf. Nur hält dieser Winterschlaf wegen Corona nun schon seit vergangenem März an.

"Normalerweise haben wir immer zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar geschlossen. Der Februar und der November sind jeweils übergangsmonate. Doch der Rest des Jahres ist das Haus voll", sagt Rottmann. 14.000 übernachtungen seien es pro Jahr, wegen Corona habe die Jugendherberge 2020 jedoch nur etwa ein Fünftel davon erreicht. Und im vorigen Sommer war die Auslastung zu gering, sodass der Träger des Hauses, der Landesverband Rheinland im Deutschen Jugendherbergswerk, sie nicht öffnete. So ist es auch jetzt noch.

"Besonders traurig war es im vergangenen Frühsommer, als wir normalerweise ganz viele Kindergartengruppen zu Besuch gehabt hätten. Die Freude und Dankbarkeit in den strahlenden Kinderaugen zu sehen, ist das, was uns am meisten fehlt", sagt Christiane Rottmann. Dafür nimmt das Herbergsleiter-Paar auch gerne den Trubel in Kauf, für den in Hochzeiten bis zu 100 Kinder und Jugendliche im Haus sorgen. "Gerade zu den Essenszeiten geht es hier immer zu wie auf dem Pausenhof. Das ist dann schon sehr wuselig", sagt Martin Rottmann. Wegen Corona erlebt er nun das absolute Kontrastprogramm: gähnende Leere.

Mit zwei Mitarbeitern teilt sich das Ehepaar Rottmann in Kurzarbeit derzeit eine 75-Prozent-Stelle, trotzdem ist es regelmäßig im Haus. Große Projekte wie die Erneuerung des Daches über einem der Tagungsräume liegen zwar auf Eis. Doch zu tun gibt es trotzdem genug - auch ohne Gäste. "Wir müssen das Haus ja fit halten für den Moment, an dem wir wieder öffnen. Und da machen wir derzeit eigentlich alles selbst", sagt Rottmann. Kleinere Löcher in einer Mauer im Keller neu verputzen, die Wasserleitungen regelmäßig spülen, Laub harken oder einen neuen Zaun auf dem Außengelände setzen: Die Arbeiten sind vielfältig.

Überhaupt trägt das knapp drei Hektar große Außengelände mit Grillhütte, Volleyball- und Basketballspielfeld, Boulderwand, Lagerfeuerstelle und ganz viel Auslauf vor allem für die kleinen Gäste einen großen Teil zum Abenteuer Jugendherberge bei. "Es ist unheimlich spannend, den Kindern dabei zuzusehen, wie sie Rollenspiele beginnen und sich frei entfalten können", sagt das Ehepaar Rottmann. Auf dem weitläufigen Gelände fällt auch gar nicht mehr auf, dass bis zu 100 Gäste gleichzeitig im Hardter Wald zu Besuch sind.

Christiane und Martin Rottmann hoffen, dass es auch nicht mehr allzu lange dauert, bis sie wieder Gruppen begrüßen dürfen. Für die Osterferien gab es wieder Anmeldungen, auch die Vorbuchungen für den Rest des Jahres seien gut. "Wir haben viele Stammgäste, die uns die Treue halten", sagt Christiane Rottmann. Und ihr Mann fügt hinzu: "Wir haben noch nie so viele Weihnachtsgrüße erhalten wie diesen Winter."

Einstweilen bleibt ihnen aber nichts anderes übrig, als auf das Ende der Lockdown-Beschränkungen zu warten und in der Jugendherberge nach dem Rechten zu sehen. Der Gang durch das Haus und über das Gelände ruft ihnen immer wieder schmerzhaft in Erinnerung, wie schön der alltägliche Krach von mehreren Gästegruppen sein kann. Nun bleibt ihnen nur ein auf- und abschwellendes Rauschen, wenn der Wind durch die Baumkronen weht. Und im großen Haus das Dielenknarzen und ein quietschendes Ausgabefenster.


Entnommen aus der Rheinischen Post, Ausgabe Mönchengladbach, 24. Februar 2021



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