Rheinische Post - Mönchengladbacher Stadtpost - Donnerstag, 16. Juni 2022
Starthilfe für geflüchtete Schüler in Mönchengladbach
16 junge Ukrainer müssen an der
Gesamtschule Hardt
in den laufenden Unterricht integriert werden - und das zum Ende des Schuljahres.
Leiterin Susanne Kölling und ihr Team arbeiten mit Hochdruck daran, diese Herausforderung zu meistern.
von Ansgar Fabri
Mönchengladbach (RP).
Die Stimmung im Selbstlernzentrum der
Gesamtschule Hardt
ist gut, trotz des Schreckens, den die neuen, ukrainischen Schüler, die hier lernen, erlebt haben.
Viele der Städte, aus denen sie fliehen mussten, kannten ihre deutschen Mitschüler wohl bislang vor allem
aus Nachrichten über den Krieg in der Ukraine.
16 Schüler bekamen einen Platz an der Schule, in deren Klassenzimmer eigentlich kein Platz für weitere
Tische und Stühle eingeplant war, doch Schulleiterin Susanne Kölling, ihre Kollegen und auch die
Schüler der Gesamtschule Hardt
stellen sich der Herausforderung und reagieren flexibel - zumal noch weitere geflüchtete Schüler
wahrscheinlich bald einreisen könnten.
Nach Angaben der Stadtverwaltung besuchen derzeit 566 aus der Ukraine geflüchtete Kinder Mönchengladbacher Schulen.
Davon sind 287 an Grundschulen, 210 in der Sekundarstufe eins und weitere 67 in der Sekundarstufe zwei.
"Sie befinden sich in einem gewissen Schwebezustand", erklärt Lehrerin Christa Klinger, die mit ihrer
Kollegin Antonina Saturina die Kurse für Deutsch als Zweitsprache leitet.
"Es ist noch nicht klar, ob sie dauerhaft in Deutschland bleiben, und wenn sie nur eine Zeit lang bleiben, wie
lang diese sein wird", konkretisiert Klinger.
Damit die Kinder und Jugendlichen auf jeden Fall die Möglichkeit bekommen, Freundschaften zu schließen,
erfolgreich die Schule zu besuchen und sich im Alltag zurechtzufinden, geben sich alle viel Mühe.
Die Voraussetzungen, auf denen Klinger und Saturina aufbauen, sind dabei sehr unterschiedlich.
Polina und Diana erzählen, dass sie bereits zwei Jahre Deutschunterricht in der Ukraine gehabt hätten,
wie Saturina übersetzt.
Bei Igor und Elia stand immerhin ein Jahr Deutsch auf dem Stundenplan.
Bei den übrigen 12 Schülern fangen Klinger und Saturina, was Kenntnisse des deutschen Wortschatzes und
der Grammatik betrifft, bei null an.
Das bedeutet: lernen, wie man sich begrüßt, nach dem Namen erkundigt, sich anderen vorstellt und einfache
Fragesätze mit oder ohne Fragewort aufbaut.
Die Lehr- und Arbeitsbücher, die aufgeschlagen auf den Tischen liegen, hätten eine steile Progression,
meint Klinger, was bedeute, dass es im Lernstoff schnell vorangeht und ebenso schnell schwieriger wird.
Warum heißt es beispielsweise "Die Ukraine", aber "ich komme aus der Ukraine"?
Nominativ, Dativ, Akkusativ, Genitiv und etliche andere grammatikalische Phänomene haben es in sich.
Doch rein methodisch lernen die ukrainischen Deutschlerner die Sprache nicht wesentlich anders als deutsche
Schüler eine Fremdsprache.
Christa Klinger hat jahrelang unter anderem Englisch unterrichtet, Antonia Saturina lehrt neben Erdkunde auch
Französisch - fremdsprachendidaktisches Rüstzeug bringen somit beide mit.
Dennoch unterscheidet sich ihr Vorgehen, denn Saturina spricht auch Russisch, was nahezu jeder Ukrainer beherrscht.
Bei einigen Feinheiten und Eigenheiten der deutschen Sprache wechselt sie gelegentlich in die gemeinsame Sprache,
während Klinger, wie sie sagt, kreativ werden müsse, um Antworten auf Fragen zu liefern.
Ist es denn einfach, Deutsch zu lernen? Auf die übersetzung der Frage kommen mehrere "Ja"-Antworten
und ein "Es ist gut machbar" aus der Lerngruppe.
Einige Gesichter zeigen, dass ein paar Schüler nicht ganz sicher sind, wie sie darauf antworten wollen.
Bei der Frage, ob ihnen die Schule gefällt, herrscht immerhin Einigkeit: eifriges Nicken und ein
"Super!" von Diane.
Bis sie die Frage ausführlicher und begründet beantworten kann, wird es naturgemäß noch etwas
dauern. Auch wenn zwölf Unterrichtseinheiten Deutsch als Zweitsprache auf dem Stundenplan stehen, wird diese
sprachliche "Erstförderung" mit zwei Jahren veranschlagt, wobei danach auch eine Verlängerung
noch möglich ist.
Nach der Unterrichtseinheit Deutsch als Fremdsprache wechseln die Schüler in andere Klassenzimmer, in denen sie
zwischen deutschen Schülern am regulären Unterricht teilnehmen. Matheunterricht mit seinen Zahlen und
Formeln könne sich da schon einmal leichter vermitteln lassen als wort- und textlastiger Geschichtsunterricht,
erklärt Klinger.
Doch in allen Fächern müssen die Lehrer für die neuen Schüler Inhalte herunterbrechen und
Zusatzmaterial zur Verfügung stellen.
Hilfe kommt aber auch von deutschen Mitschülern.
Polina, Diana, Igor, Elia und die anderen hätten schnell Anschluss gefunden und ständen über
WhatsApp-Gruppen und Instagram mit den deutschen Schülern in Kontakt, haben Klinger und Saturina mitbekommen.
Zudem hatte die Schülervertretung der Gesamtschule Hardt eine Spendenaktion initiiert und so genügend Geld
gesammelt, dass alle angekommenen ukrainischen Mitschüler einen Schulrucksack mit dem
Nötigsten - Stiftmappe, Collegeblock und Trinkflasche - bekommen konnten. Die Spendenbereitschaft war so hoch,
dass sogar noch ein Einkaufsgutschein für jeden mit in den Rucksack kam.