Rheinische Post - Mönchengladbacher Stadtpost - Donnerstag, 17. April 2025

Unser Fischstammtisch ist eine Insel

Mittwochs auf dem Hardter Wochenmarkt


von Leslie Brook

(RP). Sie treffen sich jede Woche am selben Ort und das seit 15 Jahren. Zu Backfisch, Kibbeling und Co. bringen sie abwechselnd immer eine Flasche Weißwein mit. Wie es zu ihrer besonderen Tradition auf dem Hardter Wochenmarkt gekommen ist, um was sich ihre Gespräche drehen und was sie verbindet. Heute wie damals.

Quer über den Platz schallt der Satz: "Helga, dein Fisch ist fertig!" Die Stimme gehört zu einem jungen Niederländer namens Vinnie, der mit seinem Wagen aus Venlo an jedem Mittwoch für den Nachmittags-Wochenmarkt nach Hardt kommt und dort seine Spezialitäten anbietet. Sein Ruf gilt Helga Brinkhaus, die - wie immer um diese Zeit - mit ihren Freundinnen am weißen Stehtisch versammelt ist und sich auf den frischen Fisch freut. Kibbeling hat sie diesmal bestellt, ebenso wie ihre Freundinnen Uschi Reinke und Marlies Schunk. Elga (ohne H) Esser hingegen hat Aal geordert. Nach und nach werden die Namen der Frauen aus dem kleinen Klübchen aufgerufen und der dampfende Fisch an der Theke des Wagens von "Vinnies Vis" abgeholt.

In der Mitte des Stehtisches befindet sich eine kühle Flasche Weißwein, um die eine Eismanschette gelegt ist, damit das auch so bleibt. Fisch und Weißwein - das gehört für die vier Frauen zusammen. Sie sind alle zwischen Anfang und Ende 80, aus Venn, Hehn und Hardt. Ihre Tradition besteht nun schon seit 15 Jahren: der Fischstammtisch auf dem Hardter Marktplatz, mittwochs, ab 14 Uhr. Der Termin ist so fest in ihrem Kalender verankert wie die Erinnerung an die gemeinsamen Zeiten in ihren Gedächtnissen.

Jede Woche wird der Wein reihum von einer von ihnen mitgebracht. Er stammt ebenso wie die kleinen Probiergläschen von dem Weingut an der Mosel, wo sie in jüngeren Jahren bei einer gemeinsamen Tour bei der Weinlese geholfen haben.

Früher waren sie eine weitaus größere Runde. Mit ihren Männern, die das Ganze eigentlich auch gegründet haben, wie die Frauen rückblickend erzählen. Doch sie sind alle weit vor ihnen gegangen. Die vier Frauen sind Witwen. Uschi Reinke, die im Mai 82 wird und damit die Jüngste der Gruppe, schon seit 21 Jahren. Helga Brinkhaus hat ihren Mann vor einem halben Jahr verloren. Wenn sie über ihn spricht, merkt man ihr den Schmerz über den Verlust an. Im vergangenen Jahr standen sie noch gemeinsam am Fischstand. Er sei der Hobbykoch gewesen, der Fisch über alles liebte, der ihr Mittwochsritual begründet habe. Wenn er den Backfisch aß, dann tat er es mit großem Genuss. Helga Brinkhaus deutet eine Bewegung mit einem langen unsichtbaren Fisch an, ein bisschen wie bei einer Seehundfütterung. So habe ihr Mann immer den Fisch verspeist. Die anderen lächeln bei der Erinnerung daran, und auch der Fischhändler kann sich noch gut entsinnen, wie das war.

Die Männer von Helga und Elga kannten sich schon als Kinder. Sie waren Nachbarsjungen, spielten miteinander und verbrachten auch im Alter noch viel Zeit miteinander. "Wir haben alles miteinander gemacht, waren Kegeln, im Tennisklub und haben Weintouren unternommen, waren sehr aktiv", sagt Marlies Schunk. Die Frauen hätten sich vor allem beim Mutter-Kind-Turnen getroffen. Daraus habe sich alles entwickelt. Später habe man dann für jedes Enkelkind eine gemeinsame Reise unternommen. Auf rund 20 Enkel und mehrere Urenkel kommt die Gruppe inzwischen. "Die frisch gebackenen Großeltern durften immer das Ziel bestimmen", sagt Helga Brinkhaus. "Das war so eine schöne Zeit."

Geblieben ist ihnen der Fischstammtisch in Hardt. Marlies Schunk ist inzwischen von Venn nach Hardt umgezogen in eine seniorengerechtere Wohnung. Damit ist sie auch etwas näher an den Marktplatz herangerückt. "Der Fischstammtisch ist unsere Insel", sagt Helga Brinkhaus, die im Mai 87 Jahre alt wird. Dieses Gefühl teilt auch Uschi Reinke: Ihr Bekanntenkreis schrumpfe naturgemäß, umso mehr schätzen sie, was sie aneinander haben. Sie können sich alles erzählen, weil sie ohnehin fast alles voneinander wissen und miteinander geteilt haben.

Oftmals braucht es gar nicht viele Worte. "Tabus gibt es bei uns jedenfalls nicht", stellt Marlies Schunk klar. Sie lachen miteinander und sie trösten sich gegenseitig. Gerade sind sie sehr besorgt um Helgas Bruder Paul Peltzer, der bis Mitte März mit seiner Frau Kläre ebenfalls fester Gast am Fischwagen war. Ihm gehe es gesundheitlich gar nicht gut, "wir hoffen, dass er irgendwann wieder mit uns hier sein kann", sagt seine Schwester Helga. Eine weitere Frau gehört noch zu ihrer Runde: Gerti Gessat. Sie ist an diesem Mittwoch verhindert.

In aller Regel nehmen die Frauen für die Woche noch eine Portion frischen Fisch zum selbst Anbraten für zu Hause mit. Weil der gesund sei, lecker schmecke und die Zeit bis zum nächsten Stammtisch verkürze. Auch von den verschiedenen Fischsalaten schwärmen sie unisono. "Hier schmeckt einfach alles gut", sagt Elga Esser und es werde nie langweilig. Sie hat ihr Fischfilet schon gut verpackt in ihren Stoffbeutel gelegt. Auf die besonderen Fischzeiten freuen sich alle vier Fischfreundinnen sehr: Wenn es Skrai gibt oder frischen Matjes. Natürlich haben sie den auch schon zusammen an der Nordsee gegessen. Was für ne Frage.

Weil es an diesem frühen Nachmittag so kalt und windig ist, freuen sich die Vier auf die Einkehr zu einem Eis und einem Kaffee im nahe gelegenen Eiscafe am Hardter Marktplatz. Es ist ihr Nachtisch nach dem Fisch. Auch das hat Tradition.



Entnommen aus der Rheinischen Post, Ausgabe Mönchengladbach, 17. April 2025


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