Land und Leute - Rheinische Post - Donnerstag, 21. Juni 2007
Bahntrasse: Wer auf der Strecke bleibt
Über den Verlauf der geplanten Güterzuglinie Eiserner Rhein entlang der A 52 freuen sich längst nicht alle: Während für die Gladbacher die ratternden Züge in die Ferne rücken, fürchten die Menschen in Krefeld und Viersen nun massive Lärmbelästigungen. Der Protest formiert sich.
VON M.HECKERS, R.JÜNGERMANN, A.REINERS, S.SANDMEIER, F.VOLLMER
NIEDERRHEIN
Christian Engels ist stocksauer. "Wenn der Eiserne Rhein gebaut wird, dann
können wir nachts überhaupt nicht mehr schlafen", sagt der Schwalmtaler.
Gerade hat der 34-jährige erfahren, dass der von NRW-Verkehrsminister Oliver
Wittke beauftragte Gutachter die Trassen-Führung entlang der Autobahn 52
bevorzugt. Engels und seine Familie betreiben einen landwirtschaftlichen Betrieb
mit Fleischerei und Party-Service - nur einige hundert Meter von der möglichen
Güterzugstrecke entfernt. "Schon jetzt sind wir durch den Lärm
der Autobahn belastet", sagt der Vater von zwei kleineren Kindern. "Besser
wäre doch, vorhandene Trassen zu nutzen, statt vor unserer Haustür neu
zu bauen. Das wäre bestimmt auch preiswerter."
So wie Engels reagierten gestern viele: All jene nämlich, die nahe der A 52
in Krefeld, Willich und Viersen wohnen, sind verärgert, gar empört angesichts
der neuen Streckenpläne. Bislang waren es die Menschen in
Mönchengladbach
und Wegberg, die die schweren Güterzüge auf sich zurattern sahen. Gestern
herrschte dort, bei den Anrainern der alten Gleise, Erleichterung vor. Offensichtlich
scheint dieser Zug noch einmal an ihnen vorüberzufahren - in weiter Ferne.
Annemie Kammans-Feldberg aus Wegberg zum Beispiel würde zu den Gewinnern
gehören, wenn der "neue Eiserne Rhein" käme. Sie wohnt an
der historischen Trasse zwischen Gladbach und Roermond. Jahrelang hat sie gegen
die Reaktivierung der Strecke gekämpft, zwei Jahre war sie Vorsitzende der
Bürgerinitiative. Die neuen Pläne erfüllen sie mit Genugtuung.
"Mit der A52-Variante ist Wegberg fein raus", sagt sie.
Im Kreis Viersen dagegen spricht man von einem "Dolchstoß", wenn
noch mehr Güterzüge durch die ohnehin belastete City rollen. Bürgermeister
Günter Thönnessen (SPD) ist vor allem verärgert, weil der Minister
die betroffenen Kommunen nicht vorab über das Ergebnis des Gutachtens informiert
hat. Nicht nur die Innenstadt, sondern auch Natur- und Landschaftsschutzgebiete
würden durch die Bahnstrecke zerschnitten. "Wir werden uns mit Händen
und Füßen wehren", kündigte er an.
Kompromissbereiter zeigt sich Schwalmtals Bürgermeister Reinhold Schulz.
Grundsätzlich "Nein" will er jetzt nicht sagen. Schulz setzt sich
dafür ein, dass Schwalmtal
einen eigenen Bahnanschluss erhält. Dafür müsste die Strecke aber
auch für den Personenverkehr genutzt werden. "Das habe ich in einem
Brief an Minister Wittke gefordert", so der CDU-Bürgermeister.
Sorgenvolle Mienen gibt es auch im Willicher Ortsteil Anrath: Die Anlieger der
langen Gerade zwischen Viersen und Krefeld würden besonders hart getroffen - dort
nehmen die langen Güterzüge Fahrt auf und donnern mit hohem Tempo teilweise
wenige Meter an den Häusern vorbei. Kein Lärmschutz, keine Verbauung
mildert den Krach. Adolf und Marlies Thelen, 70 und 67 Jahre alt, haben ihre Doppelhaushälfte
an der Bahnstrecke 1962 bezogen. "Die Belastung ist jetzt schon groß",
sagt Adolf Thelen, "aber dann würde sie extrem. Dann wäre der Außenbereich
unseres Grundstücks praktisch nicht mehr zu benutzen. Wenn ein Güterzug
vorbeikommt, muss man die Unterhaltung einstellen."
Gegen die Bahn anbrüllen - das kennt auch Franz-Josef von der Hocht aus Krefeld-Oppum.
"Es wäre eine echte Sauerei, wenn noch mehr schwere Züge durch
Krefeld rollen würden." Als Vorsitzender des Bürgervereins Oppum
kündigte er Proteste an. In Krefeld sei die Lärmbelastung durch den
Schienenverkehr besonders hoch, bestätigt auch Hans-Jürgen Herzog, Vorsitzender
der Bürgervereins Frostwald. Denn die Häuser würden nicht nur besonders
nah an den Gleisen liegen, sondern teilweise auch erhöht verlaufen. "Gerade
dort, wo Züge über Brücken fahren, ist der Lärm enorm."
Auch Herzog will sich schnellstmöglich mit den Mitgliedern des Bürgervereins
zusammensetzen und weitere Schritte beraten.
Aufatmen und Erleichterung dagegen in
Mönchengladbach.
Aber mehr stille Freude als Triumphgeheul. Wäre die historische Trasse wiederbelebt
worden, wären die Güterzüge mitten durch die City gefahren, vorbei
an Hunderten Wohnhäusern und am malerisch gelegenen Hauptbahnhof. Dagegen
hat Jürgen Vieten, Sprecher der
Eisernen Rhein West Initiative,
jahrelang gekämpft. "Das ist ein großer Durchbruch. Unser Einsatz
hat sich gelohnt", sagt Vieten. Am Ziel sieht er sich noch nicht. Schließlich
werden Mönchengladbacher auch bei der neuen Trasse, zum Beispiel im Stadtteil
Hardt, vom Zuglärm betroffen
sein. Die beste Variante sei seiner Meinung nach die Trasse entlang der A 40. Dann
wären auch die Krefelder, mit denen man sich solidarisch fühle, nicht
betroffen.
INFO
1879, zur Hochzeit der Industrialisierung in Deutschland, wurde der so genannte
Eiserne Rhein zwischen Mönchengladbach und Antwerpen (Belgien) in
Betrieb genommen. Im Laufe der Zeit umschrieb der Begriff die gesamte, überwiegend
von Güterzügen genutzte Strecke zwischen Antwerpen und dem Duisburger
Hafen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die ursprünglich zweigleisige
Strecke auf ein Gleis reduziert. 1991 wurde die Strecke stillgelegt.
Minister Wittke: Bund ist am Zug
VON DETLEV HÜVEL
Düsseldorf Von den Kosten ist noch keine Rede, und selbst der Zeitplan
klingt mehr als vage: Zwischen zehn und 20 Jahren schwanken die Schätzungen,
wann der neue "Eiserne Rhein" starten könnte. NRW-Verkehrsminister
Oliver Wittke (CDU) beteuert gleichwohl, das Projekt "mit Hochdruck"
voranzubringen. Dazu bedarf es vor allem der Unterstützung des Bundes.
Wittke: "Berlin ist am Zug." Dort dürfte NRW mit Staatssekretär
Jörg Hennerkes im Bundesverkehrsministerium einen Fürsprecher haben.
Hennerkes war in selber Funktion zuvor im NRW-Verkehrsministerium tätig.
Laut Wittke hat er bereits Kontakt zu Belgien und den Niederlanden aufgenommen.
In ihrem Gutachten kommt die Aachener Ingenieurgruppe IVV zu dem Ergebnis, dass
die A52-Variante anderen Modellen vorzuziehen ist, weil dabei mit der geringsten
Zahl von "Konfliktfällen" (Infrastruktur, Wohnen, Umwelt) zu rechnen
sei. Die Trasse müsse aber aus Gründen der Leistungsfähigkeit zweigleisig
geführt werden. Die Zahlen, die Wittke nennt, scheinen für eine Wiedereröffnung
des "Eisernen Rheins" zu sprechen: Zwischen 1990 und 2005 stieg der
Containerumschlag in Antwerpen von 16,5 auf 74,5 Millionen Tonnen - bei steigender
Tendenz. Hinzu kommt: Der Güterverkehr auf der Straße wird sich nach
Einschätzung des FDP-Verkehrsexperten Christof Rasche bis 2020 verdoppeln.
Da müsse Entlastung auf der Schiene her. Für Bodo Wißen (SPD)
ist der neue Eiserne Rhein aber nur eine Luftnummer: "Wittke verspricht alles - und
kann nichts halten."