Rheinische Post - Mönchengladbacher Stadtpost - Donnerstag, 17. März 2022

Als der Terror an den Niederrhein kam

Es ist zum Glück nur noch Geschichte: Vor 50 Jahren eskalierte mit dem "blutigen Sonntag" in Dublin der Religionskonflikt in Nordirland. Vor 35 Jahren erreichte der Terror auch im 1000 Kilometer entfernten Mönchengladbach einen blutigen Höhepunkt.


von Helmut Michelis

Mönchengladbach (RP). Der mächtige Explosionsknall war in der Nacht noch bis weit in die Innenstadt hinein zu hören – ein Wunder, dass vor 35 Jahren bei dem Bombenanschlag im Rheindahlener Hauptquartier keine Toten zu beklagen waren. Terror in Mönchengladbach? Wer glaubt denn so etwas! Ich vermutete dann doch eher den Überschallknall eines Militärjets und drehte mich im Bett entspannt auf die Seite. Mit der Gelassenheit war es wenige Stunden später jedoch vorbei: Gegen mich wurde als Hauptverdächtiger ermittelt.

Mehr als 66.000 britische Soldaten und Familienangehörige waren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in Westdeutschland stationiert, ein Großteil davon in Mönchengladbach und den umliegenden Fliegerhorsten Wildenrath, Brüggen und Laarbruch. So verlegten sich die Terroristen der "Irischen Republikanischen Armee" (IRA) bereits ab den 1970-er Jahren zunehmend auf Attacken gegen die weitgehend ungeschützten Engländer am Niederrhein, aber auch in Westfalen und in Niedersachsen.

Die Nervosität im JHQ und in den Wohnsiedlungen des Militärs war über Jahre hinweg spür- und sichtbar: Britische Gastgeber inspizierten ihr Auto genau und krochen auf der Bombensuche oft sogar darunter, bevor sie losfuhren. Und im langen Regenmantel vor dem Big House im Hauptquartier auf einen Gesprächspartner zu warten, das war seinerzeit keine gute Idee und führte zum schnellen Kontakt mit der Militärpolizei. Unter solchen Mänteln lasse sich sehr gut ein Kalaschnikow-Schnellfeuergewehr verbergen, die weltweite Standardwaffe von Terroristen, lautete die Belehrung des arglosen Zivilisten.

Die Wachsamkeit kam nicht von ungefähr: Die erste Terrorwelle hatte Mönchengladbach bereits 1973 erreicht. Der Bombenanschlag auf das Globe-Kino im August richtete jedoch nur Sachschaden an, ebenso wie vier weitere Sprengungen unter anderem an einem Sendemast des Soldatensenders BFBS und gegen die Reme-Werkstatt in Lürrip. Dann jedoch flog am 23. März 1987 ein in Den Haag von einem IRA-Kämpfer gekaufter Volvo vor einer Offiziermesse im HQ in die Luft: 36 Gäste einer Verabschiedungsfeier wurden teils schwer verletzt, der Sachschaden ging in die Millionen. Dort, wo das Auto mit 100 Kilo Sprengstoff und zwei Küchenuhren als Zeitzünder gestanden hatte, gähnte im Asphalt ein eineinhalb Meter tiefer Krater.

Den deutschen Generalmajor Hans Hoster, damals Stabschef der Nato-Armeegruppe Nord, traf es am heftigsten, weil er gegen 22.20 Uhr als Festredner als Einziger im Raum stand. Ein Aquarium flog durch den Raum, Scheiben barsten, Türen sprangen aus den Rahmen, Deckenteile fielen herab. Der General schilderte später die bangen Sekunden, die sich für ihn endlos dehnten, bis im Chaos mit vielen blutenden und schreienden Menschen endlich Hilfe eingetroffen war: "Ich wurde wie von einer großen Faust nach vorn auf den Tisch gestoßen und unter einem Haufen von Übergardinen begraben. Ich hatte zwei Metallsplitter im Nacken und sechs Glassplitter im Rücken. Eines der hässlich gezackten, etwa ein Euro großen Metallstücke steckte kurz vor der Hauptschlagader. Die Sicherheitsbehörden hielten über Jahre hinweg geheim, dass noch ein zweites Auto mit Münchner Kennzeichen als Bombe präpariert worden war, aber nicht explodierte.

Ich war an diesem Abend zu einer anderen Abschiedsfeier im HQ eingeladen und hatte in der Offiziersmesse nach dem Ort gefragt. Daran erinnerte sich der Manager und beschrieb zwei verdächtige Männer, ich war von einem im Auto wartenden Zeitungskollegen begleitet worden. So geriet ich ins Visier der Ermittler und blieb das seltsamerweise für längere Zeit, obwohl der Verdacht doch direkt in Richtung IRA hätte gehen müssen. Mein Vater, damals Leiter der Staatsanwaltschaft und denselben Vornamen wie ich tragend, musste zu seiner Verwunderung im Ermittlungsstab des Bundeskriminalamts in einer Turnhalle an der Wand in großen Lettern lesen, ein gewisser Helmut Michelis sei dringend tatverdächtig. Den Ermittlern soll das sehr peinlich gewesen sein.

Als Journalist wurde ich weiterhin mit dem Terror der IRA und den erschütternden Folgen konfrontiert. So musste ich am 28. Oktober 1989 in Wildenrath (Kreis Heinsberg) recherchieren, wo die Religionsfanatiker sogar ein sechs Monate altes Kind durch einen Kopfschuss töteten. Die Terroristen hatten einem 34-jährigen Korporal mit Familie an einer Imbissbude nahe des RAF-Flugplatzes aufgelauert. Als er mit seinem Privatwagen mit britischem Kennzeichen wieder starten wollte, feuerten sie mit einer Kalaschnikow elf Schüsse darauf ab – der Vater und sein Kind verbluteten, die verletzt überlebende Mutter erlitt einen schweren Schock.

Das gelbe Nummernschild auf einem Mietwagen wurde ein halbes Jahr später auch zwei australischen Touristen zum Verhängnis. Gespenstisch war für mich die bedrückende Szene kurz nach dem Attentat auf dem abgeriegelten, sonst so idyllischen Marktplatz von Roermond, wo die beiden Australier niedergeschossen worden waren. Währenddessen war der Zugang zum ursprünglich frei zugänglichen Rheindahlener HQ bereits durch Kontrollen und Zäume erschwert worden. Viele britische Fahrzeuge erhielten Mönchengladbacher "Tarnkennzeichen", was angesichts von bei uns unbekannten Schulbussen "made in England" oder Privat-Pkw mit dem Lenkrad auf der rechten Seite nur bedingt wirkungsvoll erschien, aber dann offenbar doch erfolgreich war.

Die Blutspur des Terrors zog sich indes weiter über NRW und die benachbarten Niederlande: Vor einer Disco in Nieuw-Bergen wurden 1988 zwei Soldaten des benachbarten Fliegerhorstes RAF Laarbruch (Weeze) ermordet; in Duisburg gab es im selben Jahr nach einem Anschlag der IRA auf eine Kaserne eine filmreife Verfolgungsjagd durch die City; in Unna starb 1989 Heidi H., die deutsche Frau eines britischen Soldaten, im Kugelhagel – "ein bedauerlicher Irrtum", kommentierte dies wie im Fall des Babys in Wildenrath zynisch die IRA.

Bereits im August 1987 fasste der Zoll zwei verdächtige Nordiren bei Waldfeucht im Kreis Heinsberg, als sie mit Waffen im Wagen illegal die Grenze überqueren wollten – offensichtlich die beiden Attentäter vom März 1987. Am 21. Juni 1991 wurde ich, nun als Zeuge, vor das Oberlandesgericht in Düsseldorf geladen – in ein besonders gesichertes Gebäude an der Tannenstraße nur für Terrorprozesse, das auf mich wie ein unheimliches Labyrinth wirkte. Ich war aber leider wenig hilfreich, weil ich am späteren Tatort nichts Außergewöhnliches beobachtet hatte.

Die beiden angeklagten "Gerrys", Terence Gerard McG. und Gerard Thomas H., ahnten da wohl schon, dass sie recht glimpflich davonkommen würden. Sie winkten mir von der Anklagebank in dem verbunkerten Kellergeschoss aus mehrmals wie einem alten Freund fröhlich zu, was mich wohl irritieren sollte, und genossen sichtlich ihre Rolle als selbst ernannte Freiheitskämpfer und "Kriegsgefangene".

Der geäußerte Verdacht, die IRA werde durch die DDR mit Waffen, Sprengstoff und falschen Ausweisen unterstützt, ließ sich nicht erhärten, wohl aber, dass die russischen Gewehre und der tschechische Sprengstoff vom libyschen Revolutionsführer Muammar al Gaddafi geliefert worden waren. Der Prozess scheiterte letztlich, weil die Verbrechen den beiden Gerrys nicht eindeutig zuzuweisen waren. Die IRA hatte Erddepots im Grenzland angelegt, aus denen sich die diversen Todeskommandos angeblich wechselweise bedienten.

Gegen Gerry McG. wurde der Prozess durch die Auslieferung an die USA unterbrochen, wo er 1983 versucht hatte, Flugabwehrraketen zu kaufen. Nach der Haft dort kam er 2011 zurück nach Nordirland und wegen versuchten Mordes erneut ins Gefängnis. Doch bereits zwei Jahre später wurde der studierte Lehrer und Historiker im Rahmen einer generellen Amnestie für IRA-Angehörige freigelassen. Gerry H. verbüßte ebenfalls mehrere Haftstrafen, wurde freigelassen, aber im Dezember 1996 erneut festgenommen und zu 25 weiteren Jahren hinter Gitter verurteilt: Er hatte versucht, eine Themse-Brücke in London zu sprengen.

Im April 1998 beendete ein Abkommen den Bürgerkrieg, der mehr als 3.600 Tote gefordert hatte. Doch noch 2009 berichtete ich für die Rheinische Post über einen Polizistenmord in Belfast, zu dem sich eine IRA-Nachfolgeorganisation bekannt hatte. Und Scharfmacher unter den nordirischen Protestanten nutzen aktuell die Zollkontrollen, die zur Brexit-Vereinbarung mit der EU gehören, um zu neuer Gewalt anzustacheln. Für mich schloss das Attentat 1987 im JHQ mit einem Besuch des Hauses der Geschichte in Bonn an der Seite von General Hoster ab. Er übergab dort seinen zerfetzten Frack und das blutige Smokinghemd für eine Ausstellung über Terrorismus in Deutschland. Mittlerweile befinden sich beide Kleidungsstücke im Bundeswehrmuseum in Dresden.



Entnommen aus der Rheinischen Post, Ausgabe Mönchengladbach, 17. März 2022

Siehe hierzu auch Artikel vom 11. Januar 2022:
Doch ein Gewerbegebiet ins JHQ?



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