Frankfurter Rundschau - Online - Montag, 18. Januar 2010
Ramsauers heikle Baustellen
Die geheime Streichliste der Bahn
Von Thomas Wüpper
Berlin.
Rüdiger Grube ist ein geschickter Diplomat. Der Bahnchef leidet wie sein Vorgänger unter der nachlässigen Verkehrspolitik der Bundesregierung. Doch anders als Hartmut Mehdorn legt sich Grube lieber nicht frontal mit Ministern und Abgeordneten an. Er setzt auf Einsicht - und die Macht der Fakten.
Bestens munitioniert traf sich der Bahnchef vor einigen Wochen mit Peter Ramsauer (CSU) und Klaus-Dieter Scheurle. Der neue Verkehrsminister und sein Staatssekretär bekamen wenig Erfreuliches zu hören. Grube zeigte den Amtsneulingen schonungslos auf, wie unsolide die deutsche Verkehrspolitik seit Jahren agiert.
Das Geheimpapier zu dem Spitzentreffen liegt der Frankfurter Rundschau exklusiv vor und birgt enormen politischen Sprengstoff. Es entlarvt zahlreiche Politikerversprechen als bloße Hochstapelei.
Viele Verkehrsprojekte der Bundesregierung zum Ausbau von Schienenwegen sind demnach finanziell nicht abgesichert. Mindestens ein Dutzend Vorhaben steht nun auf Grubes brisanter Streichliste (siehe Tabelle). "Keine Realisierungschancen" sieht der Staatskonzern gleich für mehrere politisch gefeierte Prestigevorhaben - und das bis 2025.
Ganz oben steht die Y-Trasse nach Hannover, die für bessere Anbindung der Seehäfen Hamburg und Bremen sorgen soll. Das gleiche gilt für den Neu- und Ausbau von Rheydt über Mönchengladbach bis zur holländischen Grenze, ein wichtiges Güterzugprojekt.
Für unbestimmte Zeit verschoben - dieses Verdikt droht außerdem der Anbindung der Fehmarnbeltquerung nach Dänemark in Schleswig-Holstein sowie der Aus- und Neubaustrecke Hanau-Fulda-Würzburg in Hessen und Bayern.
All diesen Vorhaben räumt die DB zwar auch selbst "hohe verkehrliche Bedeutung" ein - aber es fehle die finanzielle Absicherung durch den Bund, der den Bau finanzieren muss. Offiziell räumen das allerdings weder Politiker noch Bahnmanager so offen und unverblümt ein, wie es nun erstmals in dem DB-Geheimpapier nachzulesen ist.
Politik hat zu viel versprochen
Die geheime Schreckensliste zeigt: Bundes- und Landesregierungen haben den Bürgern, der Wirtschaft und den Nachbarländern in den vergangenen Jahren vollmundig zu viel versprochen. Besonders im Wahlkampf wurden neue Bahnstrecken für den Personen- und Güterverkehr zugesagt, ohne dass die Finanzierung geklärt war. Leere Worte, das Geld dafür fehlt. Für Experten ist das keine überraschung.
Denn im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) rangeln derzeit 62 Neu- und Ausbauprojekte des Schienenverkehrs um viel zu knappe Mittel. Nur für die Hälfte gibt es überhaupt schon Finanzierungsverträge. Der Plan ist katastrophal unterfinanziert, es fehlen zweistellige Milliardenbeträge. "Die Politik und die Bahn wissen das - und gaukeln den Bürgern trotzdem immer neue Traumschlösser vor", kritisiert der Verkehrsexperte Michael Holzhey von der Berliner Beratungsfirma KCW.
Das Spitzentreffen mit der DB sollte den Amtsneuling Ramsauer für die akute Finanznot bei der Infrastrukturfinanzierung "sensibilisieren". Denn besonders beim Aus- und Neubau von Bahnstrecken hinterlässt sein Vorgänger Wolfgang Tiefensee (SPD) "eine Reihe von politischen sowie physischen Baustellen", vermerkt es der "DB-Gesprächsleitfaden" für Grube süffisant.
Der CSU-Mann hat die Botschaft wohl begriffen. Inzwischen plädierte er öffentlich und im Kabinett für eine bessere Finanzausstattung des BVWP. Mit begrenztem Erfolg. Denn Regierung und Staat stecken wegen der Finanzkrise und der teuren Rettungsaktionen für die Banken in extremer Geldnot - ein harter Sparkurs, der auch den Verkehrsetat berührt, ist bereits angekündigt.
Deshalb könnte die Streichliste Grubes noch länger werden. Seit Jahren macht der Bund im Schnitt nur rund 1,2 Milliarden Euro für den Aus- und Neubau locker. Schon bald könnte es weniger als eine Milliarde sein, falls Schäuble sich durchsetzt. Dann stünden auch bisher als sicher geltende Bauprojekte des BVWP "zur Disposition", warnt das DB-Papier.
Vom Aus bedroht wären dann - so betonen die DB-Strategen ausdrücklich - zum Beispiel der weitere viergleisige Aus- und Neubau der Rheintalstrecke Karlsruhe-Basel. Das wäre ein politisch verheerendes Signal.
Denn die Nord-Süd-Gütertrasse gilt als wichtigste deutsche Frachtverbindung überhaupt und ist eine von vielen internationalen Zusagen, deren Erfüllung auf Kosten nationaler Projekte gehen wird. Heftiger politischer ärger ist
damit programmiert.
Die Streichliste
Bei derzeitiger Finanzplanung "bis 2025 nicht realisierbar":
# Ausbaustrecke (ABS)/Neubaustrecke (NBS) Hamburg/Bremen - Hannover (Y-Trasse)
# NBS Feste Fehmarnbelt-Querung (Anbindung in Schleswig-Holstein)
# ABS Düsseldorf - Duisburg (RRX) und ABS Münster - Lünen
# ABS/NBS Hanau - Fulda/Würzburg
# ABS Ulm - Friedrichshafen - Lindau (Elektrifizierung)
# ABS Roermond / Grenze Niederlande - Mönchengladbach - Rheydt (Eiserner Rhein)
# Knoten Berlin: Nordkreuz - Karow (zweite Baustufe)
# ZBA Oberhausen - Osterfeld (zweite Baustufe)
# ABS München - Mühldorf - Freilassing
# ABS Hagen - Gießen (Anpassung an Neigetechnik)
# ABS München - Lindau - Grenze österreich (Elektrifizierung)
# ABS Luxemburg - Trier - Koblenz (zweite Baustufe)
Falls der Verkehrsetat drastisch gekürzt wird, stehen laut Papier auch 29 Projekte des Bedarfsplans "zur Disposition". Darunter:
# ABS/NBS Basel - Karlsruhe (wichtigste Gütertrasse, viergleisiger Ausbau)
# ABS Emmerich - Oberhausen (Anschluss an holländische Betuwe-Güterlinie)
# Nürnberg - Erfurt (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit)
# NBS Rhein/Main - Rhein/Neckar
# ABS Mainz - Mannheim (Nordkopf Mainz)
# ABS Köln - Aachen
# Knoten Frankfurt (zweite Baustufe)
# Knoten Mannheim (Spurplan/Bahnsteig F)
# ABS Stuttgart - Singen - Grenze (Gäubahn)