Rheinische Post - Mönchengladbacher Stadtpost - Mittwoch, 17. April 2019
Zivilcourage gegen den Eisernen Rhein
Es war ein Schreckensszenario, dessen Planung die Menschen um Schlaf und Gesundheit bangen
ließ - der "Eiserne Rhein", der auf zwei Strecken durch das Gladbacher Stadtgebiet fahren sollte. Die Bürger-Initiative ERWIN hat erfolgreich dagegen gekämpft.
Von Otto-Eberhard Schütz
Mönchengladbach.
Es sollte eine transeuropäische Eisenbahn-Verbindung werden zwischen den Häfen von Amsterdam und Duisburg;
Wiederbelebung und zweispuriger Ausbau einer bereits 1879 gebauten und 1992 stillgelegten Strecke, auf der nun
täglich 150 bis zu einem Kilometer lange Güterzüge in beiden Richtungen verkehren sollten - auch nachts.
Das ist derzeit nur noch der Stand.
Und wird es wohl bleiben, jedenfalls für Mönchengladbach, für das 2018 Entwarnung kam.
Hier hat sich der Verein "Eiserner Rhein West Initiative", kurz ERWIN, seit 2002 engagiert gegen die 2001
geplante Reaktivierung des 1992 eingestellten grenzüberschreitenden Güterverkehrs zwischen
Mönchengladbach und Roermond gewehrt, gemeinsam mit weiteren Bürgerinitiativen und der Politik.
Im Juni 2018 konnten der Verein ERWIN und der Mönchengladbacher CDU-Ratsherr Friedhelm Stevens endlich melden:
"Das Eisenbahn-Bundesamt hat der dauerhaften Einstellung des Betriebes der Schienenstrecke zwischen Dalheim und der niederländischen Grenze zugestimmt."
Der jahrelange Einsatz der Mönchengladbacher hatte sich ausgezahlt.
Güterverkehr von Gladbach über den Bahnhof Wegberg-Dalheim in die Niederlande sei damit nicht mehr möglich sagte Stevens. Denn mit der Entscheidung des Eisenbahn-Bundeamtes fällt eine Schienentrasse für die Verbindung von Antwerpen und Rotterdam ins Ruhrgebiet über die historische Strecke weg: ein nur 1,2 Kilometer kurzes Teilstück – aber mit strategischer Bedeutung. "Das Thema ist vom Tisch. Durch Gladbach wird kein schwerer Güterverkehr über diese Trasse rollen", sagte Friedhelm Stevens, der Mönchengladbach im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) vertritt und anerkannter Bahnexperte ist.
Er sei sicher, dass der "Eiserne Rhein", sollte er denn jemals noch verwirklicht werden, das
Mönchengladbacher Stadtgebiet nicht mehr tangieren werde:
"Es gibt zwar Ideen, für ihn eine Bahnstrecke entlang der Autobahn 52 zu bauen.
Aber diese Alternative wäre sehr teuer.
Außerdem liegen viele Kommunen an dieser Streckenführung, die den Planungsprozess auf Jahre blockieren
könnten."
Der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hatte diesen Plänen bereits im Jahr 2012 einen Riegel
vorgeschoben.
Stevens: "Dann gibt es zwar noch die Alternative entlang der Autobahn 40.
Aber da ist Mönchengladbach nicht betroffen."
ERWIN hat im 17-jährigen Zusammenspiel mit Mönchengladbacher Politikern, weiteren Bürgerinitiativen
und den Medien sein Ziel erreicht - und ein Beispiel dafür geliefert, was engagierte Bürger erreichen
können.
2003 hat ERWIN den von der FDP ausgeschriebenen "Preis für bürgerliche Zivilcourage" erhalten.
"Darauf sind wir stolz", sagen Jürgen Vieten und Thomas Lamparter.
Die beiden, Arzt und Unternehmer, sind 2001 bei der Gründung der Initiative als Erster und Zweiter Vorsitzender
des siebenköpfigen Vorstands gewählt worden.
Hinzu kamen noch Bärbel Hertl, Reiner Frauenrath, Klaus Walter, Friedhelm Schleicher und Frank Gerwing.
Ziel ERWINs war in erster Linie, die Reaktivierung mit zweigleisigen Ausbau der 1992 stillgelegten alten Bahntrasse
der Verbindung Antwerpen - Roermond - Dalheim - Wegberg - Mönchengladbach - Viersen - Krefeld zu verhindern,
im Zusammenspiel mit Politik, Vereinen und Bürgerinitiativen von Belgien bis Krefeld.
"Allein im Raum Mönchengladbach wären 50.000 bis 80.000 Menschen vom Lärm der zum Teil mit
Gefahrengütern beladenen Züge betroffen", sagen Thomas Lamparter und Jürgen Vieten.
Zwei Strecken sollte es auf Weg von Köln nach Antwerpen im Mönchengladbacher Stadtgebiet geben:
die vorhandene über die Hauptbahnhöfe Rheydt und Mönchengladbach, und, weil eine allein den Verkehr
nicht bewältigen könne, als Umgehung die reaktivierte alte Trasse:
von Viersen und Windberg über Neuwerk, Eicken, Ohler und Dahl nach Rheydt.
Wie stark der Lärm sein würde, das demonstrierte ERWIN 2001 vor seiner Gründung eindrucksvoll 400
erschrockenen Zuhörern mit einer CD in der Windberger Gaststätte Haus Baues.
ERWIN übergab wenig später eine Liste mit 5000 Unterschriften an die Stadt:
"Sie hatte das Thema bis dahin verschlafen.
Dann aber wurde die ganze Region wach", blicken Lamparter und Vieten zurück.
Es folgten jahrelang wiederkehrende Debatten, längst nicht nur am Niederrhein.
Auch die Bundesregierung in Berlin, manchmal im Clinch mit der Landesregierung NRW, die entsprechenden Stellen in den
Niederlanden und Belgien waren dabei, sogar mal der Internationale Gerichtshof in Den Haag.
Die Industrie- und Handelskammern und der Fahrgastverband Pro Bahn sind für den Eisernen Rhein.
Die Anlieger aber fürchten Lärm und Wertverfall ihrer Grundstücke, Regionalpolitiker und Bürger
der betroffenen Kommunen sind dagegen, Naturschützer sowieso.
Die häufig wechselnden Verkehrsminister in Berlin und Düsseldorf gerieten sich schon mal in die Haare, die
Niederlande und Belgien ebenfalls.
"Ich kann mich an zahlreiche Gespräche in Berlin im Bundesverkehrsministerium erinnern, bei denen wir gemeinsam
mit den CDU-Partnern aus der Region im Kreis Viersen und Kreis Heinsberg auf die Kosten und negativen Folgen des
Eisernen Rheins hingewiesen haben.
Diese historische Strecke passte auf den vorgesehenen Trassen einfach nicht mehr in die heutige Zeit - mitten durch
die Stadt, eng entlang an der Wohnbebauung", sagte der Mönchengladbacher Bundestagsabgeordnete Günter
Krings, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, als 2016 der Entwurf des
Bundesverkehrswegeplan 2030
vorgestellt wurde. "Ich bin froh, dass die Pläne jetzt endlich in den Papierkorb gewandert sind."
Als Alternative wird aber immer noch vor allem eine Strecke von Roermond über Venlo nach Duisburg,
entlang der Autobahn A52, diskutiert.
ERWIN hat sein Ziel erreicht und immer noch 120 Mitglieder (seit Jahren wird kein Beitrag mehr erhoben);
in der Spitze waren es 180.
Nun wird der Verein aufgelöst.
4700 Euro sind noch in der Kasse, sie werden dem Verein "Kinder psychisch erkrankter Eltern" (KipE) gespendet.
"Unsere Tätigkeit bei ERWIN hat viel Zeit und auch Nerven gekostet.
Aber wir haben unser Ziel erreicht und auch Freunde gewonnen.
Es hat Spaß gemacht", sagen Jürgen Vieten und Thomas Lamparter.
Und: "Es wäre schön. wenn unser Erfolg anderen Bürgern generell Mut macht, sich zu engagieren."