Rheinische Post - Mönchengladbacher Stadtpost - Donnerstag, 28. Mai 2020

Wenn die Ohren das Ziel finden müssen

Schützen, die blind schießen? Ja, das geht. Und die blinden Sportler der "Falkenaugen" aus Hardt sind dabei sogar ziemlich erfolgreich.


von Anika Reckeweg

HARDT (RP). Carmen Hommen setzt Kopfhörer auf. Trainer Uwe Behrendsen reicht ihr das Gewehr. Die Sportschützin steht mit den Füßen fest auf dem Boden. Sie legt an, atmet tief durch. Ein heller Ton dringt in den Raum, in dem es sonst totenstill ist, wird immer schriller. Behrendsen beobachtet seine Schülerin und hält die Luft an. Schuss.

Carmen Hommen ist blind. 2008 verlor sie durch eine Krankheit ihr Augenlicht. "Ich habe eine Alternative zu meinen Hobbys gesucht, die ich nicht mehr machen kann", berichtet sie. So kam sie vor sieben Jahren zu den blinden Sportschützen in Hardt. "Könnte ich noch sehen, wäre das nichts für mich", sagt die 49-Jährige. Aber ihr gefalle besonders das gesellige Miteinander unter den zwölf Sportschützen.

Aber wie trifft Hommen das Ziel, ohne es zu sehen? "Ich höre es", sagt Hommen und fährt mit der Hand über einen schwarzen Aufsatz auf der Schusswaffe. "Das ist ein Akustikgewehr", ergänzt Behrendsen. "Das hier oben sieht zwar aus wie ein Zielfernrohr, man kann aber nicht durchgucken", erklärt er. "Darin wird das einfallende Licht in Töne umwandelt." Darum seien auch die Karten farbenverkehrt und würden mit zusätzlichen Scheinwerfern angestrahlt. "Wer bei uns ins Schwarze trifft, liegt daneben", sagt Behrendsen und grinst. Die Mitte ist weiß, der Rest schwarz. "Je heller der Teil ist, den man anvisiert, umso höher wird der Ton", erläutert Hommen.

Sie legt das Gewehr wieder an und horcht nach dem Ton. "Ich glaube, jetzt bin ich auf der Wand." Behrendsen geht zu ihr und hilft, die Karte wiederzufinden. Dafür rückt er das Gewehr an ihrer Schulter zurecht und ändert leicht die Richtung. "Deshalb werden die Karten angestrahlt - damit man die Mitte von der weißen Wand unterscheiden kann", erklärt Hommen.

Sie stampft leicht mit beiden Füßen auf. "Wichtig ist die richtige Körperhaltung. Dafür gibt es auch extra Schieß-Schuhe." Behrendsen holt ein Paar davon aus dem Schrank. "Die sind besonders flach und ermöglichen einen stabilen Stand", sagt er. "Außerdem muss man darauf achten, dass man richtig atmet", betont Hommen und holt tief Luft. "So sollte man es nicht machen", erklärt die 49-Jährige. Entspannt einatmen, das Ziel - mit den Ohren - fixieren, kurz innehalten und abdrücken. So sei es richtig. Trainer Uwe Behrendsen fiebert schon bei den regelmäßigen Übungseinheiten mit. "Ich halte dann auch immer die Luft an, das ist ja eigentlich total blöde", sagt der 71-Jährige und fängt an zu lachen. Durch die benötigte Körperspannung werde beim Schießen jeder Muskel aktiviert. Und auch die Konzentration auf den richtigen Ton sei sehr anstrengend und erfordere ein gewisses Training, erläutern Hommen und Behrendsen.

Immer montags treffen sich die zwölf blinden Sportschützen der "Falkenaugen", um an ihrer Technik zu feilen und einen geselligen Abend miteinander zu verbringen - normalerweise. "Das fehlt während Corona schon sehr", sagt Hommen. Am 3. Mai hat die Gruppe ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Aus der geplanten Party mit Tag der offenen Tür und der Möglichkeit, das Schießen nach Gehör auszuprobieren. Aber das ist erstmal verschoben.

Das Maskottchen der Gruppe kümmert das alles nicht: Blindenhund Odin. Der Labrador ist immer dabei: beim Training, bei Treffen, bei Turnieren. "Wir sind immer zu zweit im Schießstand und die anderen warten im Raum davor", berichtet Behrendsen. Dazu gehörten auch so einige Blindenhunde. "Anfangs ist immer Radau, aber wenn sich alle einmal begrüßt haben, warten die ganz lieb", erzählt er. Manchmal stehe Odin mit den Vorderpfoten auf dem Fenstersims und beobachte seine Besitzerin beim Schießen.

Gemeinschaft und Spaß - das ist es, worum es geht. Dass Hommen immer wieder zu Höchstleistungen aufläuft, ist für sie eher eine Nebensache. Viel mehr freut sie sich, wenn alle zusammenkommen. Dafür grillen die Schützen auch mal ein Spanferkel im Schießstand. Und leise ist es dann ganz und gar nicht.



Entnommen aus der Rheinischen Post, Ausgabe Mönchengladbach, 29. Mai 2020


Siehe hierzu auch Artikel vom 11. August 2017 ( Blinde Schützen holen den NRW-Cup ) oder vom 18. August 2015 ( Blinde Schützen zielen mit den Ohren )


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